Die Messe

Donnerstag, 23. November

Als Jerom Mubahna von seinem Hohen Priester den Auftrag erhielt, die Totenwache für die Opfer der Endevionkatastrophe auf der Reperaturstation abzuhalten, fühlte er sich geehrt und dankte Gott für diese Möglichkeit mit einem Gebet über die Erneuerung.
Der Hohe Priester hatte ihm mitgeteilt, dass die Kirche im Zuge dieses Unglücks einen besonderen Repräsentanten schicken sollte, und als Jerom demütig meinte, er sei nicht besonders und der Ehre nicht würdig, hatte ihn der Hohe Priester freundlich angelächelt und meinte „Mein Sohn, für Gott sind alle Menschen besonders. Außerdem bist du schwarz.“
Außerdem bist du schwarz...
Jerom, ein hochgewachsener und muskulöser Afrikaner aus Ughanda, wusste zwar, dass der Hohe Priester diese Bemerkung nicht böse gemeint hatte, dennoch lag sie ihm wie unverdautes Fleisch im Magen.
Die Church of Gods Children hatte sich Ende der 60er Jahre des 24. Jahrhunderts erst langsam und unter Mühe entwickelt, als nach langen Verhandlungen die Christen und Juden eine einheitliche Religion anstrebten. Der Gedanke zu dieser Bewegung war simpel: Es gibt nur einen Gott, und wenn Christen und Juden nur an einen Gott glaubten, wieso sollten es unterschiedliche Gottheiten sein? Wieso sollte eine dieser Religion unrecht haben, wenn sie doch so viele Menschen bewegt und sie diese Religion für die absolute Wahrheit hielten? Es musste der selbe Gott sein, war das Ergebnis der Gespräche, die in die Schaffung des Chuda, einer Mischung christlicher und jüdischer Lehren, mündete.
20 Jahre später schlossen sich auch die Muslime dieser Religion an, was zur Geburt der Church of Gods Children führte. Es war kein leichter Prozess gewesen und es gab Anfangs natürlich Schwierigkeiten diesbezüglich, interne Konflikte und Meinungsverschiedenheiten zur Richtung der Religion, doch schließlich etablierte sie sich doch als große Weltreligion unter dem einen, wahren Gott.
Die Erinnerungen an Geschichtsfakten beruhigten Jeroms Gewissen nur leicht, da Afrika zwar christliche und muslimische Zentren hatte, diese jedoch mehr oder minder aufgezwungen wurden in der Vergangenheit, vor allem im 20. Jahrhundert im Zuge der Imperialismusses der europäischen Staaten. Die Naturreligionen der Afrikaner wurden sukzessive immer weiter verdrängt und heute kann man noch froh sein, wenn jemand in irgendeinem afrikanischen Staat noch eine Ahnung hiervon hat und nicht Religionsgeschichte studiert hat.
Dieser Umstand machte Jerom, so dachte er, in den Augen des Hohen Priesters und wohl auch in der Welt, zu etwas Besonderem. Ein Afrikaner, der die Gemeinschaftsreligion der ehemaligen Christen, Juden und Muslime angenommen hatte, Religionen, die nichts mit dem Kontinent Afrika an sich zu tun gehabt hatten.
Jerom konzentrierte sich jedoch jetzt auf die ihm bevorstehende Aufgabe.
Die letzten Wissenschaftler zur Untersuchung der Endevion waren vor Kurzem eingetroffen und nun wurde die Totenwache abgehalten. Es stand jedem frei zu kommen und Jerom sah erfreut in viele Gesichter in der provisorisch eingerichteten Kirche, eigentlich ein 50 m² Raum auf der Reperaturstation im Orbit des Marses, die ihrerseits gespannt zu ihm blickten oder in Gespräche untereinander verwickelt waren.
Jerom sah an sich herab und erblickte zum Glück keinen Fleck auf der schneeweißen Robe, die mit gelben Seitenstreifen verziert war und das heilige Symbol der Religion, den Kreis der Ewigkeit, trug.
Er klopfte vorsichtig mit einem kleinen, goldenen Apfel, dem alten Symbol für Herrschaft und Macht, auf das metallene Pult vor ihm und der dumpfe Klang der beiden aufeinanderschlagenden Metalle ließ die Besucher vollends verstummen und in gebannter Höflichkeit zu Jerom heraufblicken, der auf einem kleinen erhöhten Podest stand, eine symbolsiche Zwischenstufe zur Nähe zu Gott.
„Ich begrüße alle Anwesenden und freue mich über das zahlreiche Erscheinen an diesem frühen Donnerstagmorgen“ sagte er mit fester Stimme.
Er ruhte seine Hände auf einem Buch, dass vor ihm auf dem Pult lag, und sah mit festen Augen in die Augen der Anwesenden.
„Ich bin mir sicher, dass vielen hier der Unfall, wegen dessen wir hier sind, schwer ans Herzen geht und sie werden sich vielleicht fragen, im Glauben erschüttert, wieso Gott so etwas zulassen kann, da Gott doch gütig und gnädig sein soll? Nun, diese Frage ist eine schwierige Frage und hierzu möchte ich ein besonderes Buch heranziehen, dass das Wesen Gottes beschreibt und versucht, dies den Menschen näher zu bringen“
Jerom schlug das alte Buch vor sich auf und hob eine Hand, für gesteigerte Aufmerksamkeit der Zuhörenden.
„Das Sohar beschreibt Gott, sein Wesen und die Auswirkungen für uns Menschen diesbezüglich. Da Sie sicher noch viel Arbeit vor sich haben und mir mitgeteilt wurde, dass aufgrund eines strikten Zeitplans meine Predigt prägnant ausgefüllt sein soll, möchte ich Ihnen keine Textpassagen vorlesen, sondern zum Kern des Sohars kommen. Der Mensch wird Gott niemals verstehen können, da Gott übermächtig ist und sein Geist unendlich. Der begrenzte menschliche Geist ist nicht in der Lage, das Denken und Handeln Gottes nachzuvollziehen und es ist nur schädlich, sich solchen Gedanken hinzugeben. Weinet nicht ob der seltsam anmutenden Tragödie, die wie ein willkürlicher Akt des Einen Wahren anmuten musst, sondern frohlocket ob dessen, dass wir alle Teil und Zeuge des göttlichen Planes sind. Ich kann Ihnen keine Antwort liefern, wieso die Endevion auf diese Art und Weise ein Teil von Seinem Plan wurde, doch ich kann Ihnen versichern, dass Er in weiser Vorraussicht gehandelt hat, mit dem Ziel, uns alle zur Erleuchtung und schließlich zum göttlichen Reich zu führen. Auch hier bestätigt uns das Sohar in unserem Glauben, da es in 4 Teile geteilt ist, dessen Anfangsbuchstaben das Wort Pardes ergeben. Dies ist das hebräische Wort für Obstgarten, für unser Paradies, aus dem wir einst vertrieben wurden und in das wir am Tage des Jüngsten Gerichtes zurückkehren werden.“
Jerom legte eine kurze Atempause ein und nahm einen Schluck Wasser, aus dem bereitgestellten Glas auf seinem Pult. Er hob demonstrativ die Hände gen Himmel, auch wenn dieser nun von einer Metalldecke blockiert war und streng genommen seine Hände in Richtung Marsoberfläche zeigten, zum Boden hin, und fuhr fort:
„Wir möchten Gott bitten, dass er uns unsere Sünden vergibt und uns in sein himmlisches Reich aufnehmen wird. Wir hoffen, dass die Seelen der Verstorbenen bereits bei Ihm im Paradies walten und die Tragödie Endevion bereits längst vergessen haben, sich labend an den göttlichen Wundern und umsorgt von 40 Huris. Wir bitten Gott, uns Einsicht in den Verlauf des Geschehens zu gewähren und der menschlichen Zivilisation noch weiters treu zu sein“
Jerom senkte seine Arme und stützte sich auf dem Pult ab, nun mit einem etwas mahnender Blick in die Menge schauend.
„Wir als Menschen, als Abkömmlige des Einen, müssen uns auch Gewahr werden, dass die Religion die einzige Erlösung sein kann für uns. Wir vergessen allzuoft im Taumel und Wahne der Wissenschaft, woher wir gekommen sind und wohin wir eigentlich gehen. Man kann Gottes Reich nicht mit einem Raumtransporter erreichen, noch kann man Gott berechnen oder wissenschaftlich erklären. Trotz all ihrer Vorzüge ist die Wissenschaft doch sündenbehaftet und unvollkommen und nur der Glaube ist rein und der einzige Weg in Sein Pardes, das Paradies der Menschen, wo wir von allen Sünden freigesprochen werden, jeder von uns. Lasset uns beten und nicht vergessen, was wir sind und wohin wir gehen. Amen.“
„Amen“ erwiderten die meisten Leute im Chor und senkten ihr Haupt zum Gebet.
„Vater unser, dein ist das Reich und die Ewigkeit. Dein Wille Geschehe, wie im Himmel so auch auf Erden. Führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns vom Bösen, dein Reich komme, dein Wille geschehe, deine Pracht erstrahle und deine Namen werden gerufen, wir beten zu dir, ehre uns mit deiner Weisheit. Amen“ beendete Jerom das Gebet.
„Amen“ erfolgte ein erneuter, etwas trägerer Chor.
Das Ganze hatte bloß 20 Minuten gedauert und dennoch war Jerom zufrieden mit sich selbst und der Messe.
„Die Messe ist hiermit beendet, ich danke für das zahlreiche Interesse und freue mich darauf, sie bald wieder zu sehen. Gehet dahin, meine Kinder“ beendete Jerom die Messe und zog sich zurück in den für ihn zugewiesenen Privatraum an der Hinterseite der provisorischen Kirche.
Er würde dort einige Zeit nach der Messe ausharren, falls noch Jünger Rat und Hilfe in weltlichen Dingen oder gar göttlichen Fragen hätten.

Krake

Das Meeresfrüchtchen

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