Anflug an die Endevion

Mittwoch, 22. November

Zwei Tage nach Ljiljanas Krankenhausaufenthalt war sie bereits wieder entlassen worden und befand sich nun auf einem S.S.S.I. - Transportschiff.
Das Unternehmen S.S.S.I., Hauptverantwortlicher beim Bau der Endevion, hatte sich zur umfassenden Zusammenarbeit bei der Aufklärung dieser Tragödie bereiterklärt und stellte den Forschern, Wissenschaftlern und untersuchenden Behörden allerlei Material zur Verfügung.
Ljiljana lehnte sich entspannt in dem gut gepolsterten Sitz des Transportschiffs zurück und warf gelegentlich einen Blick aus dem Fenster, hinein in das nackte Weltall um sie herum.
Obwohl ihr die Schwärze, gefüllt mit zufällig angeordneten Lichtpunkten, oft ein behagliches Gefühl der vollkommenen Ruhe gegeben hatte, betrachtete sie die Umgebung nun sichtlich nervöser.
Sie wusste, dass das U.I.N. Nichts von einem fremden Raumschiff nahe dem Intercity berichtet hatte und sonst wollte auch niemand etwas davon wissen. Dennoch war sie sich sicher, tief in ihrem Inneren, dass sie es gesehen hatte, selbst, wenn es nur Halluzinationen gewesen sein sollten. Leicht unsicher und mit einem mulmigen Gefühl im Bauch starrte sie in die nun bedrohlich wirkende Schwärze und sie fragte sich, ob und welche Gefahren dort draußen auf die Menschheit lauern könnten.
Als ob Marek, der neben ihr saß, ihre Gedanken lesen konnte, legte er seine Hand auf die ihre, was Ljiljana ein warmes und angenehmes Gefühl gab.
Mit einem aufgesetzten Lächeln drehte sie sich zu ihm, als er gerade fragte „Alles in Ordnung?“.
Sie bejahte mit einem Nicken.
„Mach dir keine Sorgen, das ist nicht mein erster Weltraumflug, weißt du“ versuchte sie ihn zu beruhigen.
„Das meinte ich nicht“ sagte Marek und gestikulierte nach Worten suchend mit seiner freien Hand, „Du warst doch ziemlich aufgeregt im Krankenhaus. Die Sache mit dem fremden Raumschiff?“
Ljiljana zog ihre Hand unter Mareks Hand weg und verschränkte die Arme, als sie wieder aus dem Fenster blickte und mehr zu sich selbst sagte „Ich weiß, was ich gesehen habe“, jedoch war sie sich sicher, dass Marek es auch gehört hatte. Ihr behagte der Gedanke nicht, dass ihr niemand glauben schenkte. Noch schlimmer war für sie jedoch der Gedanke, dass sie unrecht haben könnte; das wirklich etwas mit ihrem neuralen System nicht stimmen würde. Eine Krankheit, für die die Menschheit des 27. Jhd. trotz aller medizinischer Fortschritte keine Lösung kannten.
Bevor Marek noch etwas erwidern konnte, unterbrach eine Lautsprecherdurchsage seinen vermeintlichen Gedankengang, was Ljiljana für den Moment sehr recht war. Sie wollte derzeit nicht weiter in der Thematik herumstochern und sich auf die bevorstehende Untersuchung der Endevion-Trümmer konzentrieren.
„Wir werden in wenigen Minuten die Sperrzone um den Mars erreichen. Wenn Sie einen Vorabblick auf den Bug der Endevion werfen wollen, bitten wir sie, in ungefähr 8 Minuten aus der linken Fensterseite zu sehen. Vielen Dank.“
Da Ljiljana und Marek durch die Verspätung mit dem Intercityunfall bloß zu zweit waren auf diesem Flug, begrüßte sie die Durchsage als kleine Abwechslung zu Gesprächen mit Marek, die ihrerseits nur mit Anschweigen gegenüber Marek unterbrochen wurden.
Sie wusste nicht genau wie, doch Marek hatte es geschafft, auch zur Untersuchung der Endevion mitkommen zu dürfen. Er müsste sich wohl ordentlich bei Vossler eingeschleimt haben.
„Hast du die Endevion vor ihrem Pionierflug schon einmal live gesehen?“ durchbrach Marek die erneute Stille nach der Durchsage.
„Nein, du?“ fragte Ljiljana, sich zu Marek wendend.
„Ja!“ lächelte dieser, „es war ein atemberaubender Anblick. Stell dir vor, ein von Menschenhand gebautes Raumschiff, fast 2 Kilometer lang. Sowas hast du noch nie gesehen, ein unglaublicher Anblick!“
„Das klingt wirklich überaus interessant“ lächelte Ljiljana, deren Ingenieurinstinkte durch Mareks Beschreibung geweckt wurden. „Wir müssten den Bug auch gleich sehen, nicht?“ fügte sie schließlich nach einer kleinen Pause an und blickte erneut gespannt aus dem Fenster.
Ihre Aufregung wuchs ins unermessliche, als sich langsam eine riesige Struktur in ihr Sichtfeld schob.
Die Spitze des pfeilförmigen Buges ragte aus einer röhrenförmigen Einrichtung, einer mobilen Orbitalraumschiffstation, hervor und wurde von endlosen Scheinwerfern der Station beleuchtet. Von hier aus wirkte der Bug wie eine abgebrochene Pfeilspitze, die in einem Türrahmen steckengeblieben war. Der archaische Anblick, verbunden mit Ljiljana Wissen über die enorme technischen Leistung des „Albert“-Antriebs, erzeugte das Gefühl einer Ekstase bestehen aus Zahlen und physikalischen Theoremen in ihr. Zufrieden und wie ein kleines Kind starrte sie auf das riesige Erdbeereis im Weltraum und konnte kaum erwarten, es intellektuell und wissenschaftlich aufzuschlecken.
„Und hier beginnt der unrühmliche Teil“ flüsterte Marek neben Ljiljana sitzend, als das Transportschiff eine Kurve flog und die ehemlige Verbindung zum Antriebssystem ins Blickfeld kam.
Das Geflecht aus Gängen, Röhren, Stahlträgern und Leitungen war an einer Stelle komplett zerfetzt und es hatte fast den Anschein, als hätte eine göttliche Hand das Raumschiff auseinandergerissen. Was mit dem Antrieb passiert war, konnte Ljiljana nur ahnen. Laut Berichten kam dieser stückweise an, schwer beschädigt oder gar teilweise so deformiert, dass man nicht mehr wusste, ob dieses Element tatsächlich ein Teil der Endevion gewesen war.
„Hm“ überlegte sie und drehte sich nachdenklich zu Marek, „es sieht fast so aus, als hätte es das Antriebssystem zerrissen und der Bug wäre abgesprengt worden, dort, an der Verbindungstelle. Was meinst du?“
Marek stütze sein Kinn in seine linke Hand und nickte daraufhin kurz.
„Möglich“ sagte er schließlich, „aber lass uns nicht schon jetzt spekulieren. Sehen wir uns zuerst die Teile an“
„Ich kann es kaum noch erwarten“ grinste Ljiljana ihn im Ingenieurtaumel an.

Krake

Das Meeresfrüchtchen

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