Ljiljana

19. November, 10:14 Uhr

Jemand klingte energisch an der Tür der 60 m² Wohnung in Maribor, Slowenien. Ljiljana Kovic öffnete genervt ihre Augen und wälzte sich in ihrem von nur ihr besetzten Doppelbett von der linken auf die rechte Seite. Noch schlaftrunken hoffte sie, dass die unangekündigten Besucher einfach wieder verschwinden würden, wenn sie nicht aufmachen würde.
Ein erneutes Klingeln gepaart mit einem Klopfen zerstörte ihre Hoffnung rapide.
Ljiljana sah müde auf ihren Wecker nebem dem Bett und verfluchte die Klingenanlage, die das Klingeln in jedem Teil des Hauses klar und deutlich wiedergab. Der grundsätzliche Gedanke daran war wohl, dass niemand jemals wieder einen wichtigen Besucher verpassen sollte. Als geschulte Wissenschaftlerin erkannte Ljiljana jedoch rasch das Misskonzept dieser Anlage, die jeden Besucher zu einem unüberhörbaren Störenfried der Privatssphäre zuhause machte und man sich ihnen nicht mehr mit der Ausrede „Ich habe die Türglocke überhört“ entziehen konnte.
Ljiljana stand aus ihrem Bett auf und streifte sich rasch einen Morgenmantel über.
Eigentlich hatte sie nach den letzten harten Arbeitstagen heute ausschlafen und ausspannen wollen. Ihre Arbeit als Raumschiffingenieurin kostete sie viel Kraft und Konzentration. Der kleinste Fehler konnte unvorhergesehene Weltallkatastrophen auslösen und vielen Menschen das Leben kosten. Obwohl deshalb viel Stress mit diesem Job verbunden war, war es für Ljiljana dennoch der Traumjob schlechthin. Sie konnte ihre physikalischen Theorien in Praxis testen und wurde auch noch sehr gut bezahlt hierfür.
Als sie an der Küche vorbeiging, überlegte sie noch kurz aus reiner Bosheit einen Kaffee zu machen und ihre Besucher, die nun bereits zum dritten Mal geklingelt hatten, noch etwas auf die Folter zu spannen, bevor sie die schlaftrunkene, noch ungeduschte und ungekämmte Gestalt aus einem Stylinghorror an der Tür erleben durften.
Sie entschied sich gegen Kaffee und dafür, ihre ungeteilte schlechte Laune nun auf die Unbekannten hinter der Titantür zu übertragen und sie hiermit in die Flucht zu schlagen.
Als sie aufmachte und die Tür in die Decke glitt, sah sie gerade, wie einer der beiden vor der Tür stehenden Männer bereits erneut auf den Knopf für die Klingel drücken wollte. Doch der rasch geworfene böse und scharfe Blick Ljiljanas ließ den Mann rasch seinen Finger von der Außenkonsole nehmen und sie stattdessen freudig anlächeln.
„Guten Morgen, werte Frau Kovic!“ strahlte er sie an.
Natürlich, er hatte ja auch ausschlafen und sich mit Seife und Gedulg zu einem Menschen machen können.
„Moin'“ warf ihm Ljiljana vor die Füße und erkannte sofort am Gewand, wer ihr gegenüberstand. Natürlich diese Leute, wer weckt einem sonst an einem Sonntag Vormittag auf.
„Church of Gods Children?“ spekulierte sie mit wenig Unsicherheit in der Stimme.
Die beiden Männer, einer mit Glatze und einer rundlichen Tätowierung auf der Stirn, der andere mit langem blonden Haar, den Ljiljana vorläufig „Jesus – Emo“ taufte, verbeugten sich kurz und formten mit ihren Händen die übliche Gods Children – Geste, auf die Ljiljana nicht so genau achtete.
„Das haben Sie gut erkannt!“ freute sich die Glatze.
„Oder Gott hat Sie erkennen lassen!“ scherzte Emo.
„Natürlich!“ lachte Glatze.
„Natürlich.“ sagte Ljiljana kühl und, wie sie hoffte, auch sarkastisch.
Die Glatze präsnetierte blitzschnell einen Folder über Gods Children und hielt ihn in Richtung Ljiljana, die jedoch ihren Reflex des Zugreifens unterdrückte und die Glatze in einer peinlichen Pose ließ mit halb-ausgestreckten Arm.
Glatze überspielte dies mit einem Husten und einen Blick der zu sagen schien „Na dann halt NICHT...“ und sagte schließlich „Haben Sie sich schon einmal überlegt, was Gott alles für uns getan hat? Wie herrlich er unsere Erde und den Menschen geschaffen hat, Frau Kovic?“
Obwohl Ljiljana noch etwas Restmüdigkeit verspürte, konterte sie rasch mit „Ja, vor allem Massenmörder und Naturkatastrophen.“
„Das hören wir oft, Frau Kovic, und erwidern immer wieder mit der Wahrheit: Die Wege Gottes sind unergründlich. Gott will nicht, dass alles einfach für uns ist, er will uns testen für das große Gerichte im Himmel. Solche Dinge sind nicht gottgewollt, bloß gotttoleriert.“ erwiderte Emo mit ernster Mine.
„Unser Zentrum in der Stadtmitte hat noch viel mehr Informationen dieser Art für Sie bereitliegen, wenn Sie noch weitere Fragen haben!“ fuhr Glatze fort, „Kommen Sie uns doch einmal besuchen, ganz ohne Zwang, wir können über alles reden und sind für alles offen! Sie werden bloß Freunde vorfinden.“
„Danke, kein Interesse. Die Wissenschaft ist Gott genug für mich.“ antwortete Ljiljana.
„Gute Frau,“ sagte Emo, „die Wissenschaft mag einige Wahrheiten aufgedeckt haben, doch bloß aus menschlicher Sicht. Viele Fehlentwicklungen der Wissenschaft haben uns doch gezeigt, wie wichtig es ist, dass wir Gott nicht aus unserem Leben verdrängen und uns wieder dazu bereit erklären, ihm einen Platz in unserem Herzen zu reservieren. Die Wissenschaft lenkt uns bloß ab von den wirklich wichtigen Dingen.“
„Im Moment hat mich Gott bloß von einem durchgeschlafenen Sonntag bewahrt, wohingegen die Wissenschaft auf die Wichtigkeit des Schlafes für den Biorythmus des Körpers hinweist.“
„Frau Kovic, Sie sehen das negativ. Vielleicht war es der Wille Gottes, dass wir uns hier und jetzt zu Ihnen gesellen und versuchen, Sie wieder zurückzuholen. Gott kümmert sich auch um seine verlorenen Schafe.“
„Tja,“ sagte Ljiljana und lächelte dabei leicht süffisant, „im Moment möchte ich mich um meinen verlorenen Schlaf kümmern, meine Herren. Einen schönen Sonntag noch, auf wiedersehen.“
„Frau Kovic, Sie...“
„Auf Wiedersehen!“ sagte sie nun schärfer und drückte einen Knopf der Innenkonsole, der die Tür vor der Nase der beiden Gods Church Anhänger schloß.
Das sollte ihnen hoffentlich eine Lehre sein, wenn es nach Ljiljana ging.
Etwas munterer, aber noch immer müde genug um weiterzuschlafen, ging sie wieder zurück zu ihrem Bett, streifte ihren Morgenmantel ab sank in ihr weiches und noch leicht warmes Bett zurück.
5 Minuten später war sie erneut eingeschlafen.

Das Videofon klingelte und riss Ljiljana erneut aus ihrem Schlaf.
Diesmal bereits munterer blickte sie erneut auf ihren Wecker, der diesmal 13:12 Uhr anzeigte.
Viel akzeptabler für einen Weckruf.
Sie setzte sich auf und befahl dem Videofon per Stimmaktivierung den Anruf entgegenzunehmen, aber kein Videobild hierbei zu übertragen.
Eine Männerstimme drang durch die versteckten Deckenlautsprecher im Schlafzimmer „Hallo? Hallo? Bist du da, Ljiljana?“
„Ja, das bin ich, hallo Marek.“
„Wieso sehe ich kein Bild, ist die Verbindung gestört?“ fragte Marek.
„Nein, ich habe es deaktiviert. Bevor du mich in Unterwäsche siehst müssen noch einige Abendessen dazwischen liegen.“
Marek lachte laut, als er schließlich sagte „Störe ich denn gerade...euch?“
„Nein, es ist niemand hier,“ antwortete Ljiljana, „ich bin nur gerade aufgewacht.“
Verduzt antwortete Marek mit „Um Viertel 2? Wer schläft denn solange an so einem wunderbaren, sonnigen Novembermorgen?!“
„Ich tue das. Die Arbeit der letzten Tage war anstrengend“ antwortete ihm Ljiljana und ging in die Küche um sich diesmal wirlich einen Kaffee zu machen.
Das angefangene Gespräch konnte ohne Unterbrechung über Lautsprecher und Mikrofonsystem, die überall in der Wohnun verteilt waren, fortgesetzt werden.
„Nun, wie geht's dir denn heute?“ fragte Marek nach.
„Ausgeruht, danke. Bei dir auch alles ok?“ erwiderte sie, während sie den Filter mit Kaffeepulver füllte.
„Ja, alles Bestens! Du sag, du hast doch sicher von dem Unfall der Endevion gehört, nicht wahr? Das musst du gehört haben, es war in allen Nachrichtenmeldungen und fast schon omnipräsent im U.I.N.“
„Natürlich“ sagte Ljiljana.
„Ja, wieso frag ich eigentlich. Auf jedenfall hab ich die Riesennachricht für dich. Die U.E. Regierung hat unser Unternehmen mit der Untersuchung der Trümmerteile der Endevion beauftragt und nun halt dich fest, du hältst dich gerade fest, oder noch besser setz dich hin, nicht, dass du umfällst!“
„Marek...ich bin ganz ruhig, ich glaube eher DU musst dich beruhigen.“ sagte Ljiljana und beobachtete das Durchfiltern des kochenden Wassers durch das altmodische Kaffeegerät aus dem 22. Jahrhundert der Erde.
„Mir geht's schon gut, aber pass auf: Vossler hat dich der U.E. Regierung empfohlen als führende Raumschiffingenieurin unserer Firma. Ljiljana, DU wirst Trümmerteile der Endevion untersuchen, ist das nicht Wahnsinn?!“
„Wow“ sagte sie, „Das kommt wirklich unerwartet. Das ist jetzt dein Ernst, oder? Sonst reiß ich dir den Kopf ab und werde es nicht genetisch heilen lassen, das schwör ich dir“
„Nein, das ist mein voller Ernst!“ quiekte die Stimme von Marek fast vor Aufregung, „Du wirst die Endevionkatastrophe mituntersuchen! Ich bin so neidisch auf dich, dass kannst du mir glauben...“
„Wer wäre das nicht!“ lächelte Ljiljana nun mit einer warmen Tasse Capuccino in der Hand, „Ich kann ein Traumbaby an Raumschifftechnik untersuchen!“
„Dessen Trümmerteile halt...“ sagte Marek etwas leiser.
„Gut ja, das ist ein Wehrmutstropfen. Aber ich werde wohl Einsicht in Baupläne und physikalische Theoreme bekommen...das ist einfach nur großartig!“ freute sich Ljiljana und trank ihren Capuccino aufgeregt. „Wann geht es los?!“
„Komm morgen in der Früh vor den Haupteingang von Hyperion Technologys, dort wird dich ein U.E. Beamter abholen. Mehr wurde mir nicht gesagt, ich wollte aber auf jedenfall derjenige sein, der dir diese Nachricht übermittelt. Ich musste ordentlich an Vossler arbeiten, damit er mir diese Ehre zukommen lässt.“
„Das glaube ich dir, das ist echt eine großartige Nachricht!“
„Ich freue mich sehr für dich. Du musst mir unbedingt alles darüber erzählen dann!“
„Tja,“ sagte Ljiljana und stellte die leere Tasse auf den Küchentisch, „Das, was ich dir dann halt erzählen darf. Du weißt, militärische Geheimhaltung. Aber ich werde alles erzählen, was ich erzählen kann, versprochen Marek.“
„Sehr gut! Dann will ich dich auch nicht weiterstören beim Wachwerden. Ich weiß, wie du sein kannst, wenn dich etwas während deiner Arbeit ärgert, ich muss nicht erfahren wie es ist, dich aus dem Schlaf zu reißen.“
„Dann tritt niemals der Church of Gods Children bei.“ antwortete ihm Ljiljana kurz und knapp.
„Wie?“
„Vergiss es. Danke für die Nachricht auf jedenfall.“
„Kein Problem! Einen schönen Tag noch, viel Spaß morgen!“
„Danke Marek, wirklich“ antwortete ihm Ljiljana und beendete das Gespräch.
Sie blieb noch einige Minuten ruhig auf dem Hocker bei ihrem Küchentisch sitzen, als sie schließlich mit einem großen Grinsen auf dem Gesicht unter die Dusche hetzte.

Krake

Das Meeresfrüchtchen

User Status

Du bist nicht angemeldet.

iRead

Aktuelle Beiträge

table.lfmWidgetchart_5248a 73cdee5ded2ec567beaf77aabb 7...
table.lfmWidgetchart_5248a 73cdee5ded2ec567beaf77aabb 7...
Alhym - 11. Mai, 23:32
Hirnfreie Dichtung
Eins Zwei Drei Vier Fünf Sechs Sieben Du hast es also...
Alhym - 8. Mai, 19:40
Ode an Set Abominae
Set Abominae dürfte in unserer Geschichte ziemlich...
Alhym - 22. Sep, 01:52
T.S. Eliot
Where is the wisdom we have lost in knowledge? Where...
Alhym - 8. Sep, 16:53
Man träumt nicht, wenn...
Man träumt nicht, wenn man im Sterben liegt. Ich erwache...
Alhym - 24. Aug, 23:47

Suche

 

Status

Online seit 6399 Tagen
Zuletzt aktualisiert: 11. Mai, 23:32

Credits


Arú
Erben der Erde
Pangäa
Philosophie
Uriel
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren