Sud

Raumschiff „Hellespont“

Die Hellespont, das Raumschiff von Sud, hatte nun bereits im Zuge des „Krieges gegen das Leben in Virgo“ bereits 34 Planeten „gereinigt“. Sud fand diesen Begriff eigentlich äußert dämlich, dennoch half es ihm.
Er konnte abschalten und ausblenden, was er eigentlich die ganze Zeit tat. Leben vernichten.
Sud war zwar in einer von militärischen Traditionen geprägten Familie aufgewachsen, aber er bezweifelte, ob seine Vorfahren stolz auf ihn sein würden, würden sie ihn nun so sehen können.
Sein Großvater hatte zum Beispiel im Krieg der Elohim gegen die Olepka in einer entscheidenden Schlacht zu Land eigenhändig 2 wichtige Offiziere der Olepka getötet. Er erhielt Auszeichnungen für diesen vernichtenden, moralsenkenden Schlag gegen den Feind, der eine der Elohimkolonien überrumpelt und vernichtet hatte. Leider konnte Sud seinen Großvater nicht mehr kennenlernen, da dieser bereits vor seiner Geburt in einer Schlacht gefallen war, doch Suds Großmutter erzählt ihm immer als Kind voller Stolz die Geschichten und Heldentaten ihres Ehemannes. Erst viele Jahre später bemerkte Sud, dass in der alten, stolzen Stimme von damals auch eine ordentliche Menge an unterschwelliger Trauer mitgeschwungen hatte.
Suds Vater, der fasziniert war von den Heldentaten seines Vaters, nahm ebenfalls an vielen militärischen Aktionen teil. Als Sud zum Führer der Elohimuntersuchungen auf Schuruppak ausgewählt wurde, hatte dieser ihm aufmunternd und voller Stolz auf die Schulter geklopft und freudig seine Rückkehr erwartet. Das Wiedersehen fand nie statt, als Sud zuerst einige private Dinge auf Eridu erledigen musste, die nicht mit seinem Vater zu tun hatte, als die Elohim sich in einer Kaskadenexplosion selbst vernichtet hatten.
Sud plagten seit einiger Zeit nunmehr Träume aus seinem früheren Leben, aus dem er so rasch und ungünstig von Enki gerissen worden war. Er hätte ihn zumindest den Spaß im New Yorker Apartment erlauben können...
Dennoch träumte er von fröhlichen Tagen in New York als Mensch und begann sich allmählich zu schämen für die von ihm vollbrachten Taten.
Es war viel zu einfach einen Befehl zu äußern, der in Sekundenbruchteilen einen flimmernden Lichtpunkt auf einen Planeten weit unterhalb der Hellespont abfeuerte und danach wegzufliegen. Er wusste, dass er Milliarden von Lebewesen auf diese Art und Weise tötete und war sich dessen nicht bewusst zur selben Zeit. Er sah die Wesen nicht, er sah ihr Leiden und ihre Tode nicht. Ein kleines Lichtpünktchen, dass auf eine große, helle Kugel im Weltall zurast? Wo kann da der Schaden liegen? Sein Gehirn wusste zwar: Massenmord, doch sein Herz sagte ihm bloß: Du willst gar nicht wissen, was das wirklich bedeutet.
Sud nahm sich vor, eventuell nach der Beendigung der ganzen Mission einen guten und vermutlich sehr teuren Psychiater auf Eridu aufzusuchen. Ihm reichten die Psychopharmaka – Pillen einfach nicht mehr, um sein eigenes Gewissen lahmzulegen. Mit jedem neuen Planeten, den er auslöschte, kam ihm diese Vorgehensweise der Elohim auch immer falscher und unnatürlicher vor. Als würden sie sich selbst etwas vorenthalten, was für jedes andere Lebewesen normal sei. Als hätten sie den Boden der Tatsachen verlassen und schwebten nun wie Götter im Himmel, balancierend auf einer hauchdünne Wolkenschicht, einen Strick fest um den Hals gewickelt, den sie als liebevolle Umarmung des wahren Gottes missverstanden.
Würden die Elohim zuhause sie als Retter oder widerwärtige Massenmörder sehen? Würde er seinem Vater noch in die Augen sehen und ihm erklären können, dass er Milliarden von Zivilisten, die niemals eine Bedrohung für Eridu gewesen wären, einfach ausgelöscht hatte? Er wusste es nicht. Er wusste nur, dass er sich selbst nicht mehr in die Augen sehen konnte vor seinem Spiegel.
Der schrille Alarmton der Hellespont riss Sud aus seinem Gedankengang und er stürmte hinaus auf die Brücke. Dort sah er Elohim, die zu den Waffen gesprungen waren und auf ein Art hell weißlich leuchtende Ziege auf zwei Beinen zielten, die jedoch einfach nur reglos mit geschlossenen Augen dastand.
„Sir, dieser Anthropomorph hat es irgendwie geschafft auf die Hellespont zu kommen! Wir wissen nicht, wie er unsere Abwehr durchbrechen konnte!“ rief einer der Soldaten aufgeregt.
Sud wusste auch keine Antwort darauf und betrachtete das Wesen für einige Sekunden, als er fragte:
„Wer bist du und was willst du von uns?!“.
Das Wesen stand da und rührte sich nicht.
Die Soldaten um das Wesen zielten noch immer mit geladenen Waffen auf das Ding und diskutierten leise, um welchen Anthropomorph es sich wohl handeln möge. Gab es so etwas wie eine „Ziegigkeit“, die eines Anthropomorphen bedarf? Falls nicht, welcher Anthropomorph hätte sonst die Gestalt einer weiß leuchtenden Ziege? Der für radioaktiven Ziegenkäse? Für abstrakte Tiere? Der, der nichts Besseres an Gestalt finden konnte?
Erneut fragte Sud das Wesen, mit wem er es hier zu tun hatte und was es von ihnen wollte. Ihm war natürlich klar, dass die Ankunft dieses unbekannten Anthropomorphen nichts Gutes bedeuten würde und dass er sie kaum bei der Auslöschung des Lebens in Virgo anfeuern würde, doch fragen verschaffte ihm Zeit, in der er nachdenken konnte, wie er sich dieses Anthropomorphen effektiv entledigen könnte.
Als die Frage in der Luft hing und kurze Zeit nichts weiter passierte, drehte sich der Kopf des Wesen auf Sud und es öffnete seine bis dahin geschlossenen Augen.
Zwei rote Lichtpunkte starrten ihn an.
Bilder, Gerüche, Geräusche und Emotionen durchfluteten von einem Moment auf den anderen Sud, als er diesem Wesen in die Augen starrte und seinem Blick nicht abwenden konnte. Ihm war, als würde er in sein eigenes Leben blicken und dieses auf ihn zurück und viele unangenehme Fragen aufwerfen, mit denen er nicht umgehen wollte.
Die Soldaten blickten verwirrt zu Sud, der reglos das Wesen anstarrte und warteten auf weitere Befehle.
„Sir?“, fragte ein Soldat nach, „Ist alles in Ordnung, Sir?“
„Was...haben wir nur ... getan...“ stammelte Sud irritiert, als er sich immer mehr in den Augen des Wesens verlor, dass noch immer reglos dastand.
„Ich wollte nie... bitte, du musst mir glauben... ich wollte doch nie, dass es soweit kommt...ich wusste nicht, was wir tun...bitte...verzeih mir“ fuhr er fort, als er rücklings zur Kontrolltastatur der Hellespont stolperte.
„Es tut mir leid“ sagte er unter Tränen zu den Augen und war bereit, seinem Großvater zu begegnen und sich vor ihm zu rechtfertigen. Sein Spiegelbild sah mitleidig auf ihn herab, seine Kindheit erschien nun wie ein rosiger und warmer Ort, an dem er nun wieder gern sein würde und seine Seele konnte sich keine geeignete Strafe für sich selbst ausdenken, die seine Taten jemals wieder gutmachen würden.
Dennoch drückte er den speziellen Knopf der Steuerung von Hellespont.
Sekunden später zerriss eine Explosion die Struktur der Hellespont und riss Sud und seine Besatzung in ihr Grab.
Nach der Selbstzerstörung blieb einzig und allein Ya zurück, der kurz blinzelte.
Kurze Zeit später bewegte er sich weiter.

Krake

Das Meeresfrüchtchen

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