Enlil

Eridu

Enlils Raumschiff „Excalibur“ senkte sich langsam durch die Skyline von Eridu-City in Richtung Asphaltboden ab.
Als es aufsetzte wirbelten kleine Staubwolken dort hoch, wo die mit Greifern versehenen Standfüße der Excalibur sich in die Straße bohrten. Niemand hatte in den letzten Tagen hier aufgeräumt und die Stadt sauber gehalten. Raumschiffe sollten eigentlich nicht auf Straßen oder anderen befestigten Objekten landen, da sich deren Standfüße zwecks besseren Halt in den Untergrund krallen. Doch Enlil wollte normale, militärische Landezonen diesmal nicht ansteuern, sondern direkt in der Hauptstadt landen. Die Reparatur von ein wenig Straße konnte doch wohl kaum so teuer sein, als dass ihm irgendjemand jetzt noch böse sein konnte.
Nachdem die Excalibur sicher auf Grund und Boden stand und sich die Staubwirbel allmählich gelegt hatten, wurden die Triebwerke des Raumschiffes abgestellt und dieses stand still da, wie ein übergroßes Insekt, dass gespannt auf den Angriff eines Feindes wartete.
Im Inneren des Raumschiffes lauschte Enlil gespannt, ob er von draußen die Jubelrufe einer großen Menge vernehmen konnte, doch er hörte keinen Laut. Hatte Enki etwa eine Überraschungsparty für ihn geplant? Versteckten sich alle in ihren Häusern? Er wusste es nicht, aber die Situation mutete Enlil seltsam an, als er Anweisungen gab, die Oberfläche von Eridu zu betreten.
Die Luke des Raumschiffes öffnete sich und Enlil trat hervor in eine menschenleere Stadt. Nirgends war auch nur ein Elohim zu sehen.
Er sah sich genau um, blickte mit einem Fernglas in Richtung Fenster von Wohnhäusern, einem Voyeur gleich, der jedoch nicht auf Nervenkitzel aus ist, sondern darum bemüht, das stetig wachsende Gefühl von Unsicherheit loszuwerden, indem er einfach irgendeinen Menschen sah, konnte jedoch niemanden ausmachen. Wo waren alle bloß?
Als er ein paar Schritte auf seiner Heimatwelt gegangen war, überkamen ihn Gefühle der inneren Ruhe und Befriedigung. Lange hatte er für diesen Moment planen und kämpfen müssen und manchmal schien es ihm so, als würde er sein Ziel nicht erreichen. Doch mit Durchhaltevermögen und eisernem Willen hatte er es dennoch geschafft.
Mit Durchhaltevermögen und eisernem Willen hatte Enlil es bis jetzt immer geschafft.
Schon als Kind wurde er von seinen Eltern, der Vater ein Politiker im höchsten Rat von Eridu und seine Mutter eine Pressereporterin, dazu erzogen, stets seinen Willen durchzusetzen, wenn er wirklich an eine Sache glaubte. Das tat er dann auch, und Enlil glaubte an viel.
Zum Beispiel glaubte er, dass es eine Verletzung seiner Würde sei, von einem Klassenkameraden als „Vollidiot“ bezeichnet zu werden. Da Enlil nicht so wortgewandt war zu diesem Zeitpunkt, antwortete er mit einem treffsicher gezielten Stein in Richtung Kopf des Jungen, der danach einen Tag im Krankenhaus verbringen musste. Von seinen Eltern zur Rede gestellt, fand Enlil, dass er vollkommen im Recht war. Seine Eltern glaubten das nicht und bestraften ihn mit 3 Wochen Hausarrest, die er jedoch, der Tätigkeit seiner Mutter angelehnt, als bloße Scheinstrafe für die Elohim außerhalb der Familie verstand. So machte das die Presse nun einmal. Sie verwendete Worte und Bilder um Meinungen zu erzeugen.
Aufgrund dieser Erkenntnis klang die gelogene Entschuldigung von Enlil an diesen Jungen ehrlich. Man musste nur wissen, wie man was sagte und schon glaubten die Elohim einem. Vollkommen egal, was man wirklich damit meinte. Das Beste war, wenn die Zuhörer dann auch noch dachten, dass von Enlil ausgehende Ideen eigentlich auf ihren Mist gewachsen waren und ihn dann schon fast begeistert drängten, „ihre“ Ideen in die Tat umzusetzen. Man musste nur die richtigen Hebel kennen.
Als während seiner Militärausbildung der Krieg gegen eine ihm vorhin vollkommen unbekannte Rasse startete, die später ein gewaltiges Schwarzes Loch nahe Eridu aus dem Hut zaubern sollte, starben seine Eltern, die zu diesem Zeitpunkt gerade auf einer angegriffenen Kolonie waren. Enlil schwor sich, einer der besten oder gar der beste Offizier aller Zeiten zu werden und Rache zu üben. Er lernte fleißig und trainierte seinen Körper als auch Geist, während seine, seiner Meinung nach, idiotischen Kasernenkollegen lieber ausgingen und etwas mit Frauen anfingen. Man gewann laut Enlil keinen Krieg mit Alkohol und Sex. Man gewann ihn mit einer brutalen und kalten Logik, die von diesen beiden Dingen nur abgelenkt werden würde. Daraufhin galt er zwar als Spinner bei seinen Kameraden, aber seinem Ziel näherkommend kletterte er die militärische Karriereleiter hoch und führte sogar ein eigenes Raumschiff, als die Elohim den Sieg über diese Rasse erlangten. Nicht minder deshalb, weil Enlil aus einem Bauchgefühl heraus oder, um präziser zu sein, dem kompletten Fehlen jeglichen Gefühls damals, wahllos flüchtende Rettungsschiffe des Feindes zerstörte und so Tausende Unschuldige in den Tod riss. Ihm war es egal, ob es Zivilisten oder Militärpersonal war, es hatte auch niemand bei seinen Eltern nach einem Ausweis nachgefragt. Die Ablenkung reichte jedoch, dass feindliche Raumschiffe zum Schutz der Flüchtlingsschiffe abgezogen wurden und die Truppen an der Front der Heimatwelt dieser Rasse leichteres Spiel hatten. Als Enlil jedoch zurückkam, fand er ein Schwarzes Loch vor der Haustür Eridus und in seinem Herzen.
In seinem verdienten Landurlaub fand er dann schließlich zu seiner Frau Ninlil, heiratete diese und zeugte mit ihr seine einzige Tochter, Amelia. Er hatte sich auf ein ruhigeres Leben gefreut, in dem er das Aufwachsen seiner Tochter bestaunten konnte, doch die Entdeckung des Astralflusses und des Pangäa-Ringes erforderte fähige Leute, die Besten der Besten, um die Untersuchungen abzuwickeln. Und Enlil gehörte zweifelsohne dazu.
Tausende von Jahren auf Sippar stationiert vermisste er seine Tochter. Er vermisste es zu sehen, wie sie aufwachsen würde, er vermisste seine Frau, er vermisste es anderen Vätern zu drohen oder gar jungen Männern, die sich seiner Tochter seiner Meinung nach zu früh oder auf die falsche Art und Weise näherten, was generell zu jeder Zeit und vollkommen egal wie gewesen wäre.
Dann erreichte ihn die Nachricht der Zerstörung von Eridu, seiner Rasse und der Verlust seiner Tochter. Ihm war die Chance genommen worden, seine Abwesenheit wieder gut zu machen. Jemand hatte Enlil etwas weggenommen und ihn nicht gefragt vorhin. Das konnte und wollte Enlil nicht auf sich sitzen lassen.
Die Leere, die er seitdem in sich fühlte, zusammen mit dem gebrochenen Stolz, verschwanden nun allmählich, als er die Straße von Eridu abging und langsam einen näherkommenden Enki sah. Er winkte Enki auf die große Distanz zu und dieser erwiderte auf gleiche Weise den Gruß, blieb jedoch stehen und deutete ihm, dass Enlil zu ihm kommen solle.
Vermutlich sollte die Überraschungsparty an einem größeren Ort stattfinden und Enki sollte Enlil dorthin führen.
Oder etwas war nicht ganz so, wie es sein sollte.
Enlil wollte gar nicht an Zweiteres denken. Niemand würde ihm nun wegnehmen können, was er sich selbst wieder besorgt hatte.
Er hatte erneut einen Stein geworfen und war diesmal nicht bereit für gelogene Entschuldigungen.

Krake

Das Meeresfrüchtchen

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