Silhouetten

3 Wochen zuvor

„Öffne die verdammte Tür, Nudimmud!“ schrie Asurbanipal und hämmerte wütend gegen die vor ihm fest verschlossene, metallene Tür.
Asurbanpial hasste eigentlich Gewalt. Vor einigen Wochen hätte er sich auch nie vorstellen können, jemals gewalttätiger zu werden als ein leise gehauchtes „Verdammt“ zwischen zusammengebissenen Zähnen auszustoßen.
Vor dem Einsatz auf Neu-Eridu, der Teil von Enlils Gesamtplan zur Wiederherstellung Eridus war, war Asurbanipal eigentlich ein relaxter Typ gewesen. Er unterhielt sich gern mit anderen Elohim über Philosophie und Literatur, sinnierte mit ihnen über anderen Kulturen von diversen Planten und liebte herausfordernde Brettspiele. Die mochten zwar nostalgisch sein, doch er fand, dass sie dennoch nicht ihren Charme eingebüßt hatten.
Er hatte sich auf Neu-Eridu gefreut. Seine Sammlung klassischer Elohimmusik bei sich, hatte er sich nach erledigter Arbeit desöfteren in sein Zimmer zurückgezogen und dort Opern als auch Sonaten gelauscht. Asurbanipal hatte dabei oft und gerne aus der Fensterluke der Station Alpha, der ersten und größten Station einer Reihe von Elohimstationen auf Neu-Eridu, geblickt. Als gerade die Stimme der Opernsängerin zu einer dramatischen Stelle des Stückes beinahe zu überschlagen schien, beobachtete er gerne die draußen tobenden Schneestürme und die fernen als auch nahegelegenen, rötlich schimmernden Austritte von Astralfluss.
Hier, auf Neu-Eridu, dem einzig toten und nicht bewohnten Planeten des Pangäa-Ringes, trat der Astralfluss sichtlich zu Tage. Einfallende Strahlung der Sonne von Neu-Eridu reagierten mit den Komponenten des ansonst nicht sichtbaren Flusses und ließen ihn rötlich schimmern.
Asurbanipal war gerne, in einem entsprechenden warmen und dichten Schutzanzug gehüllt, raus ins Freie gegangen und war dabei so dicht an die Astralflussfontänen gegangen, wie er es für sicher hielt. Er beobachtete diese gerne und hielt nichts vom Studium von Büchern oder Graphiken. Seiner Meinung nach musste man das Objekt des Interesses live und in seinem natürlichen Lebensraum beobachten, um es wirklich verstehen zu können.
So kam er regelmäßig und oft in seiner Freizeit zu den Astralflussfontänen. Doch eines Tages geschah etwas, dass er sich bei bestem Willen nicht erklären konnte, jedenfalls zu Anfang nicht.
Als er bei einer der Fontänen stand und gerade ein Overture aus der neumodernen Kunstepoche Eridus hörte, fast eine der letzten, bevor es vernichtet wurde, nahm er kurz einige Silhoutten innerhalb des Astralflusses war. Er wollte sich damals die Augen reiben, dies ging jedoch nicht durch die Maske hindurch. Als kurze Zeit später auch noch Stimmen in seinem Kopf auftauchten und die Silhouetten erneut auftraten, diesmal 4 an die Zahl, in Elohimänlicher Statur, versuchte Asurbanipal den ersten Schock zu unterdrücken und hörte zu.
Die Stimmen forderten ihn auf, das Projekt von Enlil zu stoppen, hier und jetzt, auf Neu-Eridu. Enlil würde nicht wissen, was er damit anrichten würde.
Als sie wieder verschwanden, ging auch Asurbanipal zurück in die Station Alpha und überlegte, ob er sich dies nur eingebildet hatte oder nicht. Er konnte keine bessere Erklärung finden, als das möglicherweise die Psychopharmka oder sonstige von den Elohim regelmäßig konsumierten, bewusstseinssteuernden Drogen, diese Halluzinationen ausgelöst hatten.
Eigenmächtig setzte er über einige Tage hindurch zuerst die Dosis herab und stoppte schließlich vollkommen die Drogen einzunehmen. Er wusste zwar, dass er rein genetisch bedingt einer Veranlagung zur Paranoia hatte und zu leichten Migräneanfällen, dies nahm er jedoch in Kauf, als er Tage später noch einmal die Astralfontänen besuchte.
Zu seiner Überraschung traf er erneut auf die Silhouetten, die ihre Forderung wiederholten. Diesmal etwas bittender und flehender. Er fragte versuchshalber, mit wem er es hier zu tun hatte.
Die knappe und für ihn unverständliche Antwort war: „Ich bin.“
Asurbanipal war kurz versucht, das erneute Auftauchen der Silhouetten entweder auf Entzugserscheinungen der Drogen zurückzuführen, oder auf seine Paranoia.
Als er dies gestern beim Abendessen mit Elohimkollegen erwähnte, schüttelten manche lachend die Köpfe, doch andere erstarrten fast in der Bewegung, die Gabel knapp am Mund, bleich im Gesicht. Sie hatten das Selbe gesehen und es ebenfalls auf chemische oder sonstige Missverhältnisse im Gehirn zurückführen wollen. Nun glaubte niemand mehr daran und selbst die Elohim an diesem Abend, die diese Erfahrung nicht gemacht hatten, ließen sich von der Echtheit überzeugen.
Nudimmud würde niemals einfach so das ganze Projekt abblasen, er war mehr oder minder ein Schoßhund für Enlil, da war sich Asurbanipal sicher. Er war engagiert und wollte es an die Spitze des Militärs schaffen, wenn das Militär nach der Wiederauferstehung von Eridu aus Dank logischerweise die Kontrolle übernehmen würde. Das war jedenfalls Enlils Ansicht und er konnte überzeugend sein. Asurbanipal fragte sich, ob er jegliche Gewalt gegen sein eigenes Volk zur Erreichung dieses Ziels ausschließen würde, war sich jedoch nicht sicher, was Enlil zu einem sehr unheimlichen und gefährlichen Mann für ihn machte. Doch Asurbanipal war sich sicher, dass man mit Enlil darüber reden konnte.
Jedoch garantiert nicht über das Ende des Projekts und die Aufgabe ihrer Ziele, der Wiederauferstehung von Eridu. Enlil war fast wie besessen von diesem Gedanken und Asurbanipal wusste, was Enlil mit seinen Gegner machte. Nämliche kurzen Prozess, Ankläger Richter und Henker in einer Person.
Somit blieb als einziger Ausweg die Sabotage der Pangäa-Einheit auf Neu-Eridu. Die AF-Hyperthalions konnte man nicht einfach so angreifen und seinen Informationen nach hatten sie nicht einmal einen Selbstzerstörungsmodus integriert. Doch wenn die Pangäa-Einheit hier ausfallen würde, würde zumindest das Projekt verzögert werden und Asurbanipal Zeit und möglicherweise Anhänger auf den anderen Planeten gewinnen können, sollten noch mehr Leute diese Begegnungen dort gehabt haben. Es war ein Glücksspiel, doch Asurbanipal wollte das Risiko eingehen. Ein sicheres und warmes Gefühl tief in seinem Inneren vermittelte ihm, dass diese seltsamen Erscheinungen die ultimative Wahrheit sprachen und dass Enlil im Begriff war, etwas unglaubliches Dummes mit ungeahnten Folgen zu tun.
Heute, am nächsten Morgen, sammelten sich bewaffnete Elohim und starteten ihre kleine Revolutionsversuche auf Neu-Eridu. Es kam zu Feuergefechten in der Station Alpha und Nudimmud ließ den Eingang zur Kontrolleinheit der Pangäa-Einheit, 400 Kilometer Luftlinie entfernt von Station Alpha, hermetisch verriegeln. Theoretische konnte man sie von dort aus in die Luft jagen, für alle Fälle.
„Öffne die Tür oder ich schieß mich durch!“ rief Asurbanipal erneut, diesmal wütender und mit der Waffe im Anschlag, bereit, sich durch die Tür zu schneiden, sollte es nötig sein.
„Niemals, Verräter“ drang die Stimme von Nudimmud durch das kalte Metall, als in einiger Entfernung ein Teil von Station Alpha explodierte. Die Station erschütterte kurz und Asurbanipal hoffte inständig, dass keine lebenswichtigen Systeme daran glauben hatten müssen.
Als nach einigen Moment keine entsprechende Warnung durchgesagt wurde, schoss er kurze Salven auf die Tür, die schließlich unter der hohen Impuls- und Hitzeeinwirkung ihren Dienst versagte und glühend zu Boden krachte, eine Dampfwolke emittierend.
Asurbanipal hustete kurz, ignorierte die Tränen in seinen Augen die das unzweifelhaft ungesunde Gas erzeugt hatten und schritt, getrieben von Paranoia, Wut und leichter Angst in den mit Rauch gefülltem Raum. In der nächsten Sekunde spürte er einen kurzen, dumpfen Schmerz an seinem Hinterkopf und sah grelle Blitze, bevor er bewusstlos auf den Boden zusammenbrach.
Er wachte gefesselt in einer Schleusenkammer zur Außenwelt auf und musste feststellen, dass er keinen Schutzanzug trug. Als er hinter der sicheren Seite der Schleuse das dunkel blickende Gesicht von Nudimmud sah, wusste er, wieso er keinen angezogen bekommen hatte. Melancholisch blickte er aus dem Fenster der Außenschleuse und sah stürmige, -189 Grad kalte Winde gegen die Fassade von Station Alpha peitschen. Zumindest würde es schnell gehen.
„Ihr habt unser Medikamentenlager gesprengt“ sagte Nudimmud durch die Schleusentür hindurch und schüttelte angewidert den Kopf. „Was geht nur in euch vor?“ sagte er schließlich noch traurig.
Als Asurbanipal zu einer Antwort ansetzen und Nudimmud von einem möglichen Fehler Enlils in einer berührenden Ansprache überzeugen wollte, durchfuhr stechender Schmerz jeden Teil seines Körpers.
Nudimmud hatte die Außenluke geöffnet.
Asurbanipal starb einen unrühmlichen Tod und der Rest der rebellierenden Elohim konnte von Nudimmud und den loyalen Elohim innerhalb der letzten drei Wochen ausgeschaltet werden. Das Katz-und-Maus Spiel, Guerillataktiken und Überraschungsmomente sowie täuschend freundliche Verhaltensweisen hatten die Suche nach den restlichen Elohim erschwert, dennoch war sich Nudimmud sicher, dass er nun alle gefunden hatte.
Die übriggebliebenen Elohim waren nun zwar ohne ihre Psychopharmka und schlugen sich mit alltäglichen Leiden und größeren Problemen herum, die sie vorher einfach weginjiziert hatten, doch zumindest war das Projekt nicht mehr gefährdet.
Es würde stattfinden und niemand konnte etwas daran ändern.
Jedenfalls nicht hier auf Neu-Eridu.
Dafür hatte Nudimmud gesorgt und würde von Enlil sicher mit einem hochrangigen Offiziersposten belohnt werden.

Krake

Das Meeresfrüchtchen

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