Donnerstag, 16. November 2006

Hyperthalion

Am nächsten Morgen herrschte große Aufregung und hektisches Treiben im unterirdischen Forschungskomplex.
Die Marden hatten diesen angelegt, um Nacht und damit Dunkelheit zu simulieren. Der Zustand des konstanten Sonnenlichts raubte vielen Wissenschaftlern den Schlaf und so wurde im Laufe der Zeit ein unterirdischer Komplex einerseits als Schutz vor dem Licht und andererseits als Schutz vor der Hitze fernab in einem verlassenen Gebiet errichtet.
Dr. Sippur stand gebannt in der Halle, in der das Hyperthalion in einem Antigravitationsfeld aufbewahrt wurde. Er hoffte, dass sie es bald in das Weltall zurückbringen und dort Tests durchführen konnte. Dafür musste die Übersetzungsmaschine heute nur eine gute Übersetzung ausspucken, die ihnen endlich nach so langer Zeit verraten würde, wie man dieses verdammte Gerät aktivieren würde.
Untersuchungen am Hyperthalionen hatten ergeben, dass dieses eine komplett glatte Struktur besaß. Das einzig Auffällige waren die unbekannten Schriftzeichen. Sonst gab es keine Knöpfe, Schalter, Anzeigen oder sonstige Hinweise darauf, was man tun müsste, um diese Waffe zu aktivieren. Die einzige Unregelmäßigkeit war die Öffnung vorne, die generell als der Lauf der Waffe angesehen wurde. Man konnte nicht sehr weit hineinblicken, da sich der Gang in der Öffnung rasch innen krümmte.
Über das Material, aus dem das Hyperthalion gebaut wurde, konnte auch niemand etwas herausfinden. In keiner Aufzeichnung stand, aus was diese Waffe besteht oder wie sie gebaut wurde. Jegliche Abtastungsstrahlen hatten absolut kein Ergebnis gebracht und die Forscher waren sich unsicher, was dieses tiefschwarze Material nun sei.
In Aufzeichnungen wurde ein wenig auf die Funktionsweise der Waffe eingegangen, wenn beschrieben wurde, dass diese mit der Kraft vom „Gegenteil der Erde, des Wassers und der Luft“ arbeiten würde. Dies wurde als Hinweis auf Antimaterie interpretiert, obwohl die Wissenschaftler von Marduk noch überhaupt keine Erfahrungen damit hatten. Sie erhofften sich, dass wenn die Waffe endlich funktionieren würde, dass ihr Wissen über Antimaterie und dessen Sprengkraft dann gelöst werden würde, wenn eine dieser Antimateriebällchen oder was genau die Waffe abfeuern würde, auch endlich aktiviert werden könnte. Man würde versuchen, dieses in einem Antischwerkraftfeld zu fangen, um es fern zu halten von Materie und so erforschen zu können.
Dr. Sippur starrte gebannt auf die Uhr und endlich war es Mittag, der Zeitpunkt, zu dem die Übersetzungsmaschine fertig sein sollte.
Einige Minuten später trat ein aufgeregter Wissenschaftler durch die Tür und reichte Dr. Sippur einen Zettel, auf dem endlich die geheimnisvolle Inschrift auf dem Hyperthalion entziffert worden war.
Er traute sich kaum den Zettel zu betrachten, tat dies doch jedoch mit großer Freude.
Diese Freude verwandelte sich in einem Bruchteil einer Sekunde in rasende Wut.
„Was zum Teufel ist das?! Wo ist die Übersetzung?!“ brüllte er den Wissenschaftler an.
Dieser, bereits kreidebleich, antwortete ihm, dass dies die Übersetzung sei. Das Ergebnis eines monatelangen Versuchs einer Maschine, die auf Vergleichsquellen zurückgriff, eine antike Inschrift zu entziffern.
Dr. Sippur hielt den Zettel demonstrativ hoch und begann laut vorzulesen, so dass es jeder in der Untersuchungshalle hören konnte:
„The thirde, it cometh; unsagbar blau, verwirrt, serima. Tausendfache Iam, wiederholt Zeitpunkt der ersten Eröffnung, Abstand, Dank, Hase.“
Und dann die letzte Inschrift, die scheinbar von den Erbauern nach der Erschaffung des Objektes hinzugefügt worden war: „Beware, Jaya.“
Wütend blickte Dr. Sippur auf den nun immer kleiner werdenden Überbringer dieser Übersetzung.
„Was zum Teufel soll denn das bedeuten?! Wo zum verdammten Teufel steht da, wie man dieses Mistding aktiviert?! Was zum Teufel hat diese Maschine die ganze Zeit ausgerechnet?! Wie aktiviert man dieses verdammte Schrottding!“ brüllte er ihn an.
Unsagbare Wut über verschwendete Zeit, verpasste Gelegenheiten, verlorenes Familienglück und der Preisgabe der Lächerlichkeit unter Wissenschaftskollegen rasten durch Dr. Sippur, als er sich wütend zum vor ihm schwebenden Hyperthalion umdrehte.
Er warf wütend einen Tisch um, trat gegen eine Wand und schrie dann gen Hyperthalion „Was zur Hölle willst du von mir?! Was soll ich denn noch tun?!“.
Im Taumel der in ihm kochenden Wut schnappte er sich einen Antigravitationsgürtel und legte ihn an. Er aktivierte ihn und glitt langsam zum Hyperthalion hinauf, es mit einem fast schon wahnsinnigen Funkeln in den Augen fixierend.
„Du willst also nicht funktionieren, du willst einfach nicht?!“ rief er wütend gen Hyperthalion. Er knüllte die Übersetzung zusammen und schmiss sie auf den Boden, wo ihn bereits erstaunte Kollegen anstarrten. So einen Wutausbruch hatten sie noch nie erlebt.
Dr. Sippur ballt seine Fäusten zusammen, bis fast jegliches Blut aus ihnen getrieben war und seine Knöchel weiß leuchteten.
Mit zusammengebissenen Zähnen sagte er in ruhiger, mit einem leichten hauch an Wahnsinn versetzter Stimme „Jetzt zeige ich dir Mistding einmal, wie man, da wo ich herkomme, Geräte zum Funktionieren bringt!“.
Ihm war nun vollkommen egal was mit ihm und dem Hyperthalion passierte. Ob es bei seiner jetzigen Aktion aus dem Ruhe getrieben wurde und gegen eine Wand prallte, dort eventuell Beschädigung erlitt. Oder ob er sich einfach nur den Fuß brechen würde, bevor er am selben Tag einen Bericht seines absoluten Scheiterns an Gilgamesh abliefern müsste. Er würde dieses verdammte Mistding nun treten, so, wie er noch nie etwas getreten hatte.
Dr. Sippur holte Schwung mit seinem Bein und hielt kurz inne, bevor er, geladen mit der gesamten Wut, Verzweiflung und dem Hass, der sich langsam auf dieses Gerät angestaut hatte, mit all seiner Kraft gegen die Oberfläche des Hyperthalions trat.
Genau in diesem Augenblick passierten in einem Bruchteil von Sekunden einige Dinge sehr rasch, die nun ausführlich erklärt werden.
Zuerst sah Dr. Sippur für den Bruchteil einer Sekunde eine Art blaues Schutzschild um das Hyperthalion aufflackern, genau in dem Moment, als sein Fuß die Oberfläche traf.
In der nächsten Sekunde spürte er unsäglichen Schmerz in seinem gesamten Bein, dass sich so anfühlte, als würde ihm etwas die Lebensenergie aussaugen wollen. Rasch zog er diesen entsetzt wieder zurück und starrte auf das Hyperthalion, dass nun leicht zu vibrieren begann, während die gesamte Elektrik im Raum ausfiel und die Erschütterungen des Hyperthalions immer stärker wurden.
Sein Antigravitationsgürtel verlor jegliche Energie, die Antigravitationsaggregate für das Hyperthalion reichten gerade noch aus, um es in der Luft zu halten, als auf diesem zusätzliche glühende Inschriften erschienen.
Das Hyperthalion begann leicht transparent zu werden, man sah wie scheinbar pure Energie in gewundenen Gängen hin und hergeschleudert wurde, sich immer mehr aufschaukelnd, bevor schließlich für einen kurzen Moment die Zeit stehen zu blieben schien, als sich ein kreisrundes Zeichen vor der Öffnung des Hyperthalions bildete.
Es war umrandet von Symbolen und wies einen großen blauen Fleck in der Mitte auf, der kurz zu Glühen begann, als die Energie aus dem Inneren mit einer ungeheuren Wucht aus der Öffnung austraten und ein 13 Meter Durchmesserloch in die Decke der unterirdischen Basis riss.
Die abgefeuerte Energie bohrte sich mühelos durch die Oberfläche Eridus und trat ungesehen an einer Stelle wieder aus, sich in das Weltall verflüchtend.
Das Hyperthalion kehrte daraufhin wieder in seinen ruhenden, fast schon schlafähnlichen Zustand von zuvor zurück.
Geschockt von dem Gesehenem, eilte ein Wissenschaftler zu Dr. Sippur, der leicht verletzt am Boden lag und sich sein Bein hielt, mit der er zugetreten hatte. Der Raum war verwüstet worden durch die ungeheure Wucht dieser Entladung. Mehrere Leute brauchten ärztliche Hilfe, Papiere waren von selbst in Flammen aufgegangen und weniger geschützt Elektronik war komplett durchgeschmort. Das Hyperthalion hingegen hing noch immer ruhig in der Luft.
„Dr. Sippur, Dr. Sippur! Geht es Ihnen gut?!” rief der junge Wissenschaftler aufgeregt.
„Ich denke ja“ sagte er leicht lächelnd, „mein Bein schmerzt nur sehr.“
Der junge Wissenschaftler starrte kurz auf das klaffende Loch in der Decke.
„Wie haben Sie...was ist gerade? Herr Doktor, ist das die Wirkung von Antimaterie?“
„Ich ... weiß es nicht. Das Gefühl in meinem Bein war schrecklich...als würde das Hyperthalion versuchen, jegliche Energie und meine Seele aus mir zu reißen...und das alles nur, für den Energieaufbau“
„Ich werde einen Arzt rufen lassen!“ sagte der junge Wissenschaftler und eilte davon.
Fasziniert starrte Dr. Sippur das Hyperthalion an.
Das, was es abgefeuert hatte, war garantiert keine Antimaterie. Es war fast schon ein kurzer, konstanter Strahl, der eine sehr hohe Leuchtkraft besaß. Aber wenn es doch keine Antimaterie abfeuert...wie funktioniert es dann?! Wieso hat es jetzt gefeuert?!
Nein, dies war garantiert keine Antimaterie. Diese müssten jegliches Licht absorbieren, jegliche andere Materie vernichten wollen. Antimaterie würde nicht so strahlen wie dieser Strahl, den das Hyperthalion abgefeuert hatte, sie würde tiefstschwarz sein, fast schon schwärzer als der Hintergrund des Weltraums, ungefähr so wie das...
Wie das Hyperthalion.
„Verdammter Mist...“ fluchte Dr. Sippur, „natürlich...das gesamte verdammte Ding besteht aus Antimaterie...“
Ganz plötzlich war Dr. Sippur froh, dass das Hyperthalion ständig in einem Antigravitationsfeld aufbewahrt wurde, ohne Kontakt zu anderer Materie.
Es war einfach unvorstellbar, was es sonst angerichtet hätte.

Tagträume

Nach der Kranzniederlegung und einer erneuten Wiederholung der Vorgänge bei der morgigen Krönungszeremonie saß Beneloh allein in seinem Zimmer und las ein Buch.
Als er gerade bei einer spannenden Stelle des Buches war, wurde sein Lesefluss von einem "Hallo Beneloh" unterbrochen, und Beneloh antwortete spontan mit "Nicht jetzt, Phyll".
Kurze Zeit spät bemerkte Benelohs Unterbewusstsein, dass nicht die Stimme von Phyll diese Worte ausgesprochen hatte, sondern eine weibliche Stimme.
Er sah nun doch von seinem Buch auf und fiel vor Schock beinahe von seinem Stuhl, als er das geisterhafte Mädchen aus seinen Träumen nun in seine Zimmer stehend sah, ihn anlächelnd.
"?!" brachte Beneloh hervor.
"Keine Angst" antwortete das Mädchen in ruhiger Stimme.
Beneloh rieb sich kurz die Augen und überlegte sich einen Psychiater aufzusuchen, da er nun Halluzinationen zu haben schien. Er war nicht einmal betrunken und sah Dinge...
"Du musst zu mir kommen" sagte das Mädchen und Beneloh sah sie fragend an.
Schließlich brachte er die Worte "Zu dir?" hinaus.
"Ja" sagte das Mädchen und nickte dabei "zu Zohar".
"Was...wie...aber?" fragte Beneloh verduzt, doch das Mädchen lächelte ihn nur an.
"Komm zu Zohar. Es ist wichtig für Eridu. Sonst wird der Traum wahr."
"Aber" begann Beneloh und begann dann zu lachen, "du bist doch nur eine Halluzination...oh Gott ich muss zum Arzt und das einen Tag vor meiner Krönungszeremonie...oh Gott..."
Das Mädchen lächelte erneut sanft.
"Ich bin keine Halluzination" sagte sie.
"Achja?" fragte Beneloh.
"Ja"
"Woher soll ich das wissen? Vielleicht redet mir meine Halluzination das jetzt nur ein!" konterte er.
"Eine berechtigte Frage. Was ist, wenn ich dir morgen bei der Zeremonie das Heavengate öffne? Glaubst du mir dann und kommst zu Zohar?"
Beneloh lachte nun noch stärker als zuvor und musste sich den Bauch halten.
"Das Heavengate öffnen, aber sicher. Diesen Sektenhumbug kannst du jemand anderen erzählen!"
"Wenn es trotzdem morgen aktiviert wird, wirst du es dann verwenden und mir glauben?"
"Aber sicher!" lachte Beneloh, "wenn das große und magische Heavengate morgen auf mysteriöse Art und Weise aufgeht oder was auch immer es machen soll, ja, dann gehe ich hindurch und werde zu dir...ahahah auf Zohar kommen, natürlich, kein Problem!"
"Sehr gut. Sonst ist Eridu verloren" antwortete ihm das Mädchen zufrieden.
"Und was soll denn Eridu bedrohen bitte?" lachte Beneloh weiterhin, "wir sind doch schon besetzt, was soll denn noch passieren?"
"Das Hyperthalion wird Eridu und noch viel mehr vernichten" antwortete das Mädchen ruhig.
Beneloh hatte sich nun ein wenig beruhigt wieder, als er sein Buch zuklappte und sie fragte "Und was bitte ist ein Hyperthalion? Eine magische Fee oder gar ein böser Dämon aus dem Heavengate?"
"Nein. Es ist der Untergang des Universums" antwortete das Mädchen ernst, und fügte noch lächelnd hinzu "und das will doch wirklich niemand, denke ich. Komm einfach morgen, wenn das Heavengate aktiviert wird von mir."
"Natürlich" sagte Beneloh sarkastisch und in diesem Augenblick verschwand das Mädchen wieder.
Beneloh ging ins Badezimmer, suchte einen Fiebermesser und ein paar Beruhigungstabletten, um in Ruhe schlafen zu können und zu hoffen, dass seine Krankheit morgen nicht bei der Zeremonie zu Tage treten würde.

Projekt: Sol

Dr. Sippur erwachte und machte langsam die Augen auf.
Mit einer Handbewegung aktivierte er einen Sensor, der das Licht in seinem Zimmer anspringen ließ. Er stand aus seinem Bett auf und vergaß vollkommen Dinge wie Duschen oder Zähneputzen, sondern starrte einfach nur eine Wand an, auf der dutzende Skizzen, kopierte Texte und Verbindungslinien zwischen ihnen zu sehen war. Die Wand trug die Überschrift „Hyperthalion Projekt“ und gleich daneben war eine viel kleinere Tafel, mit viel weniger Skizzen, mehr Ordnung und Klarheit, die das Titel „Projekt: Sol“ trug.
Nach langem Starren auf das „Hyperthalion Projekt“ ließ er es ab es zu betrachten, bevor seine Kopfschmerzen wieder anfingen.
Jahre der Forschung, mittlerweile müssten es bereits mehr als 20 gewesen sein, er hatte irgendwann aufgehört mitzuzählen, steckten in diesem Projekt. Dennoch wurde kein einziger Fortschritt erzielt bei der Aktivierung oder dem Verständnis der Waffe. Nicht einmal der geheime Hochsicherheitstransport nach Eridu und die konstante Energiezufuhr hatten eine Lösung gebracht.
Und nun schwebte dieses Ding in einer ungefähr 300 Meter entfernten Halle in einem Antigravitationsfeld zur Erforschung und schien über Dr. Sippur und alle seine Bemühungen zu lachen.
Unzählige Forschungsreisen auf andere Welten zur Datenkollektion hatten nichts weiter gebracht, dass er an die 5 Jahre an Weltraumreisen verbracht hatte, den Rest in Übersetzungsversuchen antiker Sprachen und dass sich im Laufe der Zeit seine Frau von ihm getrennt hatte und die Kinder mitgenommen. Nun hatte er nichts mehr, außer einem riesigen Etwas, dass, so schien es ihm, einfach nur da war, um ihm zu beweisen dass er niemals hinter das Geheimnis dieses Gerätes kommen würde.
Dennoch hatte Gilgamesh vor einigen Jahren gefordert, dass die Wissenschaftler um Dr. Sippur endlich herausfinden sollten, wie man das Hyperthalion aktivieren kann, um somit eventuell den Plan „Sol“ in die Tat umzusetzen. Es wurde dem Planeten Marduk nämlich langsam zu kostenintensiv, die Solarenergie nach Marduk zu schicken und den Planeten unter ständiger militärischer Präsenz zu halten, um Aufstände zu verhindern.
Dr. Sippur hoffte inständig, dass die seit Monaten beschäftige Übersetzungsmaschine morgen, wenn diese endlich fertig war mit der Übersetzung, eine sinnvolle Anleitung für das Hyperthalion ausspucken würde. Immerhin arbeitete sie bereits sehr lange an der Übersetzung der Inschrift auf dem Gerät, es musste sich um eine Anleitung dafür handeln.
Ja, morgen würde es endlich so weit sein und sie könnten das Hyperthalion testaktivieren.
Falls nicht...
Daran dachte Dr. Sippur gar nicht, als er sich aufmacht, in dem unterirdischen Forschungskomplex auf Eridu seinen täglichen Geschäften nachzugehen.
Diese bestanden jedoch mittlerweile nur noch aus dem Anstarren des Hyperthalions und der Hoffnung endlich auf die Lösung zu kommen.

Eridu

Beneloh wachte nun zum vierten Mal in Folge schweißgebadet auf.
Seit vier Nächten hatte er diese Alpträume nun und sie wirkten immer realer auf ihn. Immer kam dieses seltsame, geisterhafte Mädchen darin vor und letzte Nacht hatte sie sogar noch mit ihm gesprochen.
Er konnte sich zwar nicht mehr daran erinnern, was das Mädchen gesagt hatte, dennoch wurde es ihm langsam unheimlich.

Nach einer angenehmen Dusche und den alltäglichen Reinigungsritualen nach dem Aufstehen ging Beneloh angezogen an eines der vielen Fenster seines Zimmer und blickte von dort auf den Platz des Friedens hinab.

Alles war normal, wie er es vor dem Schlafengehen zurückgelassen hatte. Die drei Sonnen von Eridu schienen um diese Jahreszeit alle in der nördlichen Hemisphäre und tauchten den Himmel in eine Mischung aus rotem, gelben und weißen Licht, dass im Endeffekt aussah wie die Eingeweide eines überfahrenen Tieres. Zwar störte das die Eridaner nicht, die Besatzer von Marduk sahen jedoch nur widerwillig gen Himmel, vor allem nach einem üppigen Mahl.

Die Vorbereitungen für die morgige Krönungszeremonie liefen auf Hochtouren, als am Platz des Friedens Marktstand um Markstand wuchs und man Architekten miteinander streiten hören konnte, ob dieser Teppich nun rot, weinrot oder grad violett sein sollte und es beinah zu Handgreiflichkeiten kam diesbezüglich.

Das Heavengate, ein altes Relikt einer nun mehr verbotenen Sekte, stand ebenso wie immer am Platz des Friedens und reflektierte das Licht der Sonnen. Vor vielen hundert Jahren hatte eine Religion behauptet, dass das Heavengate, ein aufrechtstehender Wasserring, das „Tor zum Himmel und damit zu Gott“ sei, doch nicht einmal die höchsten Religionsführer konnten es jemals aktivieren, um damit einen Beweis zu liefern. Somit wurde die Religion rasch als falsch gebranntmarkt und als Sekte deklariert, die nun nur noch in geheimen Zimmern ihrer Religion nachgeht und der falschen Göttin Nephila huldigte.

Götter waren auf Eridu, und soweit das Beneloh von den mardischen Besatzern mitbekommen hatte, sowieso nirgends beliebt. Aber man musste dann nicht noch eine falsche Göttin anbeten, nur um irgendetwas anzubeten, fand Beneloh.

Wie immer standen auch zwei bewaffnete mardische Wachen neben dem Heavengate und litten extrem unter der Sonneneinwirkung im Sommer, wenn alle drei Sonnen vom Firmament brannten. Zumindest etwas Genugtuung, fand Beneloh.

Wenn er sich konzentrierte, konnte er sogar am Himmel einen heller leuchtenden, rosa-rot wirkenden Punkt ausmachen. Das Zohar. Laut Legenden hätte es helfen sollen, immerhin war es ein Hoffnungsträger und nur mit positiven Geschichten umschrieben worden. Doch was tat dieser nutzloser Fleck am Himmel, als plötzlich mardische Raumschiffe begannen Eridu zu bombardieren? Die Rauchschwaden überdeckten einfach die Sicht auf Zohar und die Schreie der Leidenden wurden von niemandem gehört. Und heute strahlt es genauso fröhlich wie sonst immer am Himmel, zusehend, wenn die, denen es angeblich helfen soll, leiden müssen. Es könnte fast schon mit dieser falschen Göttin Nephila assoziiert sein, so nutzlos ist dieses Ding.

Beneloh drückte einen Knopf neben dem Fenster und hörte aus der Ferne eine Glocke läuten. Zwar fand er die importierte mardische Technologie, die das Leben leichter machte, sehr nützlich und angenehm. Doch auf die riesigen Sonnenkollektoren die das Sonnenlicht Eridus abfingen und über Solarsatelliten die Energie nach Marduk weiterleiteten, fand er nicht mehr so lustig. Ebensowenig wie diese pilzförmigen Waffen, die enorme Zerstörungen anrichteten und Eridu rasch dazu bewegten zu kapitulieren. Das Land, dass durch diese Waffen getroffen wurde, war danach vollkommen unbewohnbar und viele Eridaner starben dort an seltsamen Hautkrankheiten oder nicht bekannten inneren Symptomen, während die Marden einfach zusahen und meinte „das sei halt so bei dieser Waffe“.

Schließlich ging die Tür zu seinem Zimmer auf und eine freundliche Stimme sagte „Guten Morgen Beneloh!“.
Er drehte sich zur Quelle der Stimme um und begrüßte den gerade hereingetretenen Phytonen, einen Vertreter der Homo botanica. Wie jeder Phytone hatte auch dieser auf seinem Kopf Überbleibsel seiner genetischen Herkunft, sozusagen eine Art „Rasse“ obwohl das die Phytonen nicht so sahen, und dieser hier hatte winzige Dotterblumen auf seinem Kopf wachsend. Ansonst war sein Körper wie der jedes anderen Phytonen: komplett pflanzlich, grüne Haut, kleine Ranken schlangen sich um Arme und Beine. So, wie man sich eben menschliche Pflanzen vorstellen würde.
„Morgen Phyll“ antwortete ihm Beneloh, „was steht heute auf meiner Tagesordnung?“
„Ach“ freute sich Phyll, „ziemlich wenig! Dein Vater König Enkidu möchte dich sehen um mit dir gemeinsam einen Kranz vor dem Grab deiner Mutter niederzulegen, bevor es morgen zu hektisch sein würde mit der Krönungszeremonie. Sonst wird noch ein Berater einige Details mit dir wiederholen, damit du weißt was genau alles zu tun ist morgen. Soll ja alles glatt laufen bei deiner Krönung!“
Das Grab seiner Mutter. Vielen Dank, Marduk. Er wusste zwar, dass dies nur reiner Zufall war und es sonst noch viele Opfer gab, dennoch wäre ohne Marduk niemals kurz nach seiner Geburt seine Mutter bei einem Angriff getötet worden.
„Ich bin gleich soweit“ antwortete er Phyll und überlegte kurz, ob er sich beschweren sollte, dass er erneut alle Details für seine Krönungszeremonie durchgehen sollte. Zwar war es wichtig, dass wusste er schon, dennoch war es mehr oder minder eine Farce. Immerhin kontrolliert nicht mehr das Königshaus Eridu, sondern Besatzer einer anderen Welt. Die ganze Zeremonie morgen würde nur noch eine Geste sein, eine Geste der Moral eventuell oder der unterschwelligen Verzweiflung, wenn der Vater dem Sohn die Regierungsgeschäfte übertrug. Regierungsgeschäfte, die nun mehr daraus bestanden das Land zu verwalten im Sinne der mardischen Anweisungen und mardische Abgeordnete zu empfangen und sie nicht wütend zu machen. Darauf hatte Beneloh nicht wirklich Lust.
Als er schließlich bereit war, ging Beneloh mit seinem Diener Phyll, den er jedoch mehr als Freund sah und die beide per-du waren, aus dem Zimmer und machte sich auf den Weg zur Kranzniederlegung mit seinem Vater.

Krake

Das Meeresfrüchtchen

User Status

Du bist nicht angemeldet.

iRead

Aktuelle Beiträge

table.lfmWidgetchart_5248a 73cdee5ded2ec567beaf77aabb 7...
table.lfmWidgetchart_5248a 73cdee5ded2ec567beaf77aabb 7...
Alhym - 11. Mai, 23:32
Hirnfreie Dichtung
Eins Zwei Drei Vier Fünf Sechs Sieben Du hast es also...
Alhym - 8. Mai, 19:40
Ode an Set Abominae
Set Abominae dürfte in unserer Geschichte ziemlich...
Alhym - 22. Sep, 01:52
T.S. Eliot
Where is the wisdom we have lost in knowledge? Where...
Alhym - 8. Sep, 16:53
Man träumt nicht, wenn...
Man träumt nicht, wenn man im Sterben liegt. Ich erwache...
Alhym - 24. Aug, 23:47

Suche

 

Status

Online seit 6827 Tagen
Zuletzt aktualisiert: 11. Mai, 23:32

Credits


Arú
Erben der Erde
Pangäa
Philosophie
Uriel
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren